Die Stammmutter der Windsors und St. Wendel
Weit verzweigt waren die verwandtschaftlichen Beziehungen der europäischen Herrscherhäuser am Vorabend des Ersten Weltkriegs. „So gesehen“, schreibt daher der australische Historiker Christopher Clark in seinem Bestseller „Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ britisch-halbtrocken, „erscheint der Ausbruch des Krieges im Jahr 1914 eher als Höhepunkt einer Familienfehde.“ Natürlich meint das der in England lebende Historiker nicht ganz ernst. Dennoch: Kaiser Wilhelm II. und King George V. etwa waren Vettern, beide Enkelsöhne von Queen Victoria. Victoria ihrerseits war mit Albert von Sachsen-Coburg und Gotha vermählt, dem zweiten Sprössling der unglücklichen und geschiedenen Ehe zwischen Ernst I. von Sachsen-Coburg-Saalfeld (ab 1826 Sachsen-Coburg und Gotha) sowie Luise von Sachsen-Gotha-Altenburg. Das kurze und tragische Leben dieser Herzogin Luise, die von ihrem Mann nach St. Wendel verbannt wurde, sollte in dieser kleinen Stadt, fern der Heimat und getrennt von ihren beiden Söhnen, noch einige Momente des Glücks für sie bereithalten.
Ehesachließung mit Ernst I.
Groß war die Freude, als am 21. Dezember 1800 Luise als erstes und einziges Kind des Herzogs Emil Leopold August von Sachsen-Gotha-Altenburg und Charlotte von Mecklenburg-Schwerin im Schloss Friedenstein in Gotha das Licht der Welt erblickte. Allerdings währte der Jubel im Fürstenhaus nur kurz, denn zwei Wochen nach der Geburt starb die Mutter. In den Lebenserinnerungen der Malerin Luise Seidler, die 1811 am gothaischen Hof weilte, wird die junge Luise als „lebhaftes, neckisches Wesen, klein, blühend und munter“ beschrieben.
Luise Seidler erinnerte sich auch an den Vater, sie pries ihn als „größtes Original seiner Zeit“, das sich in phantasievollen Kostümen und einer blond gelockten Perücke zeigte. Selbst Napoleon, der öfters am gothaischen Hof zu Gast war, bezeichnete Emil als geistreichsten Fürsten Deutschlands. Exzentrisch war der Herrscher, ein großer Liebhaber der Kunst, liberal und fürsorglich im Amt. Und er liebte seine Tochter abgöttisch. Ein gutes Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau schloss er am 24. April 1802 erneut den Ehebund, und zwar mit Prinzessin Caroline Amalie von Hessen-Kassel, zu der das Kind ein gutes Verhältnis hatte.
In diesem Umfeld wuchs Luise auf. „Dieses Wesen – ein seltenes Gemisch geistigen Ernstes, und kindischer Unbesonnenheit – man möchte sagen eine zu früh gereifte Pflanze“, so charakterisierte eine von Luises Erzieherinnen, Charlotte von Bock, die 16-Jährige. Als liebenswürdig und schwärmerisch wird sie beschrieben. Hals über Kopf verliebte sich dieses romantisch veranlagte junge Mädchen in den doppelt so alten Ernst I., der bereits 1815 um ihre Hand anhielt und mit dem sie an ihrem 16. Geburtstag die Verlobung feierte. Trotz der Bedenken der Stiefmutter – der Altersunterschied! – wurden die Beiden am 31. Juli 1817 getraut. Fünf Tage lang wurde die Hochzeit gefeiert, mit rauschenden Festen in beiden Fürstentümern und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. Für Ernst war es allerhöchste Zeit, an – vorzugsweise natürlich männliche – Nachkommen zu denken, die die Linie seines Hauses fortzuführen hatten.
Eine Spezialität seiner Familie war es, sich dank geschickter Heiratspolitik über ganz Europa auszubreiten, dadurch Prestige und Macht zu gewinnen. Nicht umsonst bezeichnete Bismarck die Coburger als das „Gestüt Europas“. Zudem war der Fürst in argen Geldnöten. Die junge Luise kam da gerade recht, verfügte sie doch über geordnete finanzielle Verhältnisse und war Alleinerbin eines attraktiven Vermögens.
Da standen sie nun vor dem Traualter, der reife Realpolitiker und der schwärmerisch Teenager. Ein Zeitgenosse, Gast bei den Hochzeitsfeierlichkeiten, notierte: „Sie [Luise] ist ein höchst natürliches, liebenswürdiges Wesen. Sie werden sie aber in Coburg solange auf die Polirmühle und unter die Glanzpresse bringen, bis sie so flach und platt wie die übrigen wird.“
Luise schwebte jedoch vorerst noch im siebten Himmel, glaubte sie doch, ihren Ritter in glänzender Rüstung gefunden zu haben. Anfangs spielte Ernst mit, sorgte dafür, dass seine junge Frau eine adäquate Bildung erhielt und erwiderte die Liebesbekundungen. Am 21. Juni 1818 kommt der erste Sohn Ernst auf die Welt, im August 1819 folgt der zweite Nachkomme Albert. Damit hatte Luise ihre Schuldigkeit getan. Die Ernst’sche Realpolitik brauchte sich nicht mehr unter dem Deckmantel der Romantik zu verstecken. Der Herrscher widmete sich zunehmend seinem eigenen Vergnügen, der Jagd und den Frauen. Das entging der Ehefrau keinesfalls, schrieb sie doch (vermutlich) 1819 an ihren Mann: „Das Versprechen eines ächten Ritters ist ihm heilig, besonders wenn er es seiner Dame gab (und dafür darf ich mich halten, nicht wahr?). Also bitte, bitte bewahre die alte, deutsche Treue und laß deinen Handschlag und Schwur gelten. Das Vergnügen, was eine andere dir verschafft, kann dich ja doch nicht wahrhaft freuen, da es Sünde ist.“
Während Ernst also durch die Lande zog, versuchte Luise, der Eintönigkeit, der Langeweile am Hof, den ermüdenden Sitten und Gebräuchen, die das Leben einer Adeligen bestimmten, zu entfliehen. Neben Festen, Bällen und dem Interesse an der aktuellen Mode wollte sie sich gemäß ihrer liberalen Erziehung und ihrem fürsorglichen Gemüt auch sozial engagieren und die Lage der Ärmsten der Armen in Coburg verbessern. Doch für diese Ideen, auch noch im Kopf einer Frau ersonnen, war Ernst, dem antiquierten, absolutistischen Herrscherideal treu verbunden, nicht bereit. Er hatte für die aus seiner Sicht gar seltsamen Initiativen der Herzogin nur Kopfschütteln übrig.
So bröckelte das kurze Eheglück, Stück für Stück. Auf der Suche nach Zerstreuung, verhedderte sich die junge Luise offenbar in den Hofintrigen. Leichtsinniger Weise maß sie dem Klatsch und Tratsch der erlauchten Damen und Herren womöglich nicht die angemessene Bedeutung bei – und wurde deren Opfer.
Schon bald nach der Geburt des zweiten Sohnes machte ein Gerücht die Runde: Luise habe eine Affäre mit dem Höfling Alexander Graf zu Solms. Halb belustigt, halb schockiert, wies sie die Anschuldigungen von sich. Der Herzog aber nahm die Sache ernst, ließ die Vorwürfe offiziell untersuchen, verbannte Luise bis zur Aufklärung nach Gotha, entfernte Solms vom Hof. „Du sagst deine Ehre war auf dem Spiel, dieß ist nie der Fall gewesen, Graf Solms vergaß nicht die Pflichten die er dir als Diener, ich die ich dir als Gattinn schuldig war, ist denn der Frau ihre Ehre nicht auch die Deinige. Mußt du sie nicht schonen, sie vor der Welt vertheidigen, denn der Herr, der Mann, der Fürst, der Ritter muß seine Dame schützen und schirmen“, schrieb Luise ihrem Mann aus Gotha, appellierte an sein Ehrgefühl, bezeichnete die Unterstellungen als Produkt dunkler Hintermänner.
Doch für Ernst war die Lage heikel, war doch seine Macht, sein Ansehen – und das seiner Familie – durch diese Vorwürfe bedroht. Dazu war es nicht die einzige Affäre, die in diesen Tagen dem Herzog Sorgen bereitete.
1807, als Luise noch ein Kind war, lernte Ernst in Paris eine Pauline Alexandre Panam kennen, damals wohl an die 14 Jahre alt. 1809 gebar sie einen Sohn, behauptete, Ernst sei der Vater. In den folgenden Jahren spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen Ernst und Madame Panam zu: Der Herzog bemühte sich, das Sorgerecht für den vermeintlichen Sohn zu erlangen, Madame Panam versuchte, so viel Geld wie möglich aus der Affäre herauszuschlagen. Schließlich drohte sie, ihre Memoiren zu veröffentlichen, geschmückt mit peinlichen Details über den Herzog. Eine Einigung fand nie statt, das Buch erschien 1823, die europäischen Höfe waren um einen weiteren Skandal reicher.
Indes rissen die Gerüchte um Luise nicht ab, weitere Liebschaften wurden ihr unterstellt. Zudem starb ihr Vater am 14. Mai 1822, ein zusätzlicher Schatten belastete das Leben der jungen Frau. Dass, gemäß den Sitten der Zeit, der Mann das Erbe verwaltete, auch wenn die Frau die Erbin war, sorgte für weiteren Zwist in der Ehe. Ob Luise nun vorsätzlich, ohne das Opfer einer Intrige zu sein, eine Affäre mit dem Kammerjunker Gottfried von Bülow vorgaukelte, um Ernst möglichst schwer zu treffen? Vorstellbar, doch schwer beweisbar. „Der tief gekränkte Gatte, der hoch beleidigte Landesherr spricht zu dir: Du hast mich schrecklich hintergangen. Ich weiß alles (...). Du hast meine aufrichtige Liebe (...) mit dem schwärzesten Verrat und Undank gelohnt", schrieb Ernst seiner Frau, unterstellte ihr Ehebruch, behauptete, im Besitz entlarvender Briefe zu sein – die allerdings bis heute nicht gefunden werden konnten. Die Trennung war somit für den Herzog unausweichlich, Luise sollte den Hof verlassen. Doch leise Zweifel plagten auch ihn. Später gab er in einem Brief an seinen Bruder sogar zu: „Luise ist das Opfer einer abscheulichen Intrige geworden, an der der größte Theil meines Hofes Antheil hatte.“
Verbannung nach St. Wendel
Vorerst aber musste die Ordnung wiederhergestellt werden. Dass die im Volke beliebte und verehrte Luise nun verbannt werden sollte, genau am 28. August 1824, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Umgebung. Was nun folgte, war etwas in Coburg noch nie Dagewesenes. Die Untertanen versammelten sich, solidarisierten sich mit der jungen Herzogin und forderten die Versöhnung. Es brodelte, fein angereichert mit dem Missmut weiter Teile der Untertanen ob der sozialen Lage und ob der Last der Abgaben an den Landesherrn. Ernst machte seine Frau für die Tumulte verantwortlich, warf ihr selbst Landesverrat vor. Jedoch wich er zunächst, irritiert über den Ausbruch des Volkszorns, zurück, lenkte ein, versöhnte sich öffentlich mit seiner Luise. Doch dies nur zum Schein, sobald die Lage sich entspannte, musste Luise weg. So weit, wie irgend möglich – nach St. Wendel, in sein neu gewonnenes Fürstentum Lichtenberg.
Etwa 25.000 Seelen zwischen Nahe und Blies, um die 460 Quadratkilometer mit den Städten Grumbach, Baumholder und St. Wendel – das war 1816 der Lohn Ernsts für seine Teilnahme an der Niederringung Napoleons, seine Abfindung, als Europa nach dem französischen Sturm beim Wiener Kongress 1815 neu geordnet wurde. Vier Tagesreisen von Coburg entfernt lag seine Entschädigung, und nicht, wie er vor den Verhandlungen gehofft hatte, an den Grenzen seines Fürstentums. Daher wollte Ernst den neuen Besitz am liebsten eintauschen, behandelte diesen so weit entfernten Landstrich stiefmütterlich, ließ ihn finanziell ausquetschen. Gegen die neue Regierung, ihr offensichtlich willkürliches Vorgehen und die finanziellen Belastungen erhoben sich in seinem neuen Territorium bereits 1818 Proteste. Überrascht über deren Heftigkeit, versuchte der Herzog auch hier die Wogen zu glätten, etwa durch die Erhebung seines neuen Besitzes zum Fürstentum Lichtenberg, benannt nach der Burg bei Thallichtenberg.
Doch blieb die Lage angespannt, die neuen Untertanen waren weiter mit der neuen Herrschaft unzufrieden, die soziale Not war groß. Und hierher sollte Luise geschickt werden, in das aufmüpfige St. Wendel, den Verwaltungssitz Lichtenbergs. Von Bad Brückenau, wo sie seit Anfang September zur Kur weilte, ging es mit einigen Zwischenstationen in die ihr unbekannte Stadt. „Mannheim gefiel mir ungemein, wir besahen einige Straßen und setzten unsern Weg bis Kaiserslautern fort, wo wir am 10. waren, den andern Tag hierher, aber was für ein Weg von Homburg nach St. Wendel, selbst du würdest dich gefürchtet haben", schrieb sie ihrem Noch Ehemann. Der Empfang an den ersten Tagen hingegen war herzlich, mit lauten „Vivat“-Rufen, Musik, Fackeln und einer Theateraufführung ihr zu Ehren. Etwas, was der Landesherr ausdrücklich untersagt hatte – den St. Wendelern war dies egal. Dennoch, der erste Eindruck Luises war nicht der beste, weder von der Stadt noch von den Menschen: „Die Gegend muß im Sommer recht freundlich sein; die Stadt ist sehr Gräßlich. Am ersten Tag wurden mir die Herrn vorgestellt und Gestern Abend die Damen, manche kuriosen Figuren waren darunter, doch behielt ich trotz mancher Anregung von Lachen meine Würde bei, selbst als man mich von geflickten Hemden u.s.w. unterhielt.“
Ernst hatte bereits vorgesorgt und seine Vasallen vor Ort angewiesen, Luise im Auge zu behalten. Schließlich wurde die Dienerschaft, die die Herzogin begleitete, persönlich vom Herzog ausgewählt. Luises Hofdame Amalie von Uttenhoven etwa wurde aufgefordert, darauf zu achten, „das[s] die Herzogin in ihrem Betragen sich möglich ruhig und still in St. Wendel verhält und durch keinerlei Art von extravage[a]nzen ihren Ruf und die Ehre des Hauses noch mehr compromettirt.“
Sparsam solle sie leben, hieß es weiter, dürfe keine Schulden machen, müsse mit 13.000 Gulden im Jahr auskommen. Geld, das der Herzog zur Verfügung stellte und im Laufe der Jahre – anfangs sagte er noch 14.500 Gulden jährlich zu – immer wieder reduzierte. Mindestens einmal im Monat musste die Hofdame dem Herzog Bericht über Luise erstatten. Auch der Kammerherr Carl Heinrich von Speßart hatte strikte Instruktionen erhalten. Es war offensichtlich, was Ernst bezweckte: Luise sollte kontrolliert, im Exil von anderen ferngehalten, isoliert werden.
Im alten Amtshaus bezogen die Coburger Quartier. Entgegen der Zusagen des Herzogs war dieses allerdings lediglich karg hergerichtet. Kurzerhand wurde man selber tätig und sogar Luise, die Herzogin, half mit, die Tapeten zu kleistern. Doch sollte die Behausung ein heikles Thema bleiben, dringende Renovierungsarbeiten wurden von der herzoglichen Regierung entweder verzögert oder gleich abgelehnt.
Trotz der öfters beklagten Eintönigkeit des Alltags arrangierte sich Luise bald mit ihrem neuen Leben. Aus der verletzten und gekränkten war eine selbstbewusste Frau geworden. Ein ständiger Streitpunkt blieb allerdings das liebe Geld. Bereits im Trennungsvertrag von 1824 wurde Luise finanziell erheblich benachteiligt, gab Ansprüche zu Gunsten der beiden Söhne auf. Als ihr Onkel Friedrich IV. von Sachsen Gotha-Altenburg 1825 starb, forderte sie von Ernst 25.000 Thaler, die Summe, die ihr laut dem Testament des Onkels zustand. Natürlich lehnte der Herzog ab. „Noch immer verweigert mir der Herzog mein Vermögen“, schrieb Luise im Sommer 1827 einer Freundin, „und so sehe ich mich denn genöthigt einen Process gegen ihn zu führen, da ich so eingeschränkt werde und bei jeder Gelegenheit gekränkt und beleidigt werde.“ Einen Prozess! Heutzutage keine Seltenheit, wenn ein geschiedenes Ehepaar um finanzielle Belange streitet, doch damals etwas Unerhörtes. Der frühe Tod der Herzogin 1831 beendete jedoch die ersten juristischen Schritte schlagartig.
Kurzes Glück fern der Heimat
Am 31. März 1826 wurde das herzogliche Paar offiziell geschieden. Auch hier zog Luise finanziell den Kürzeren, zudem wurde ein Besuchsrecht für die Söhne, wie von ihr gefordert, im Vertrag nicht aufgenommen – jene Söhne, die sie seit ihrer Abfahrt aus Coburg nicht mehr gesehen hatte und bis zu ihrem Tod nicht mehr sehen sollte. Unter dieser Trennung litt die Mutter natürlich ungemein, doch jede Bitte, jedes Flehen, lehnte Ernst rigoros ab.
Sechs Monate nach der Scheidung heiratete Luise erneut, keinen Unbekannten: Maximilian von Hanstein, der bereits am Coburger Hof angestellt war und dem man schon damals ein Verhältnis mit Luise nachsagte. Er folgte ihr ins Exil. „Ich bin am Ziel meiner Wünsche und habe am 16ten Oktober meinen geliebten Max, der in den zwei Jahren unseres Beisammenseins mir unzählige Beweiße von treuer Anhänglichkeit gegeben hat geheirathet", schrieb Luise an Emilié Stuhs, ihre Freundin. Zuvor aber wurde Hanstein noch rasch von Herzog Friedrich von Sachsen-Altenburg, der seit 1826 über Luises Gutsbesitz im Altenburger Land herrschte, in den Grafenstand erhoben, hieß fortan Graf von Pölzig und Bayersdorf – schließlich musste die Ehe standesgemäß sein. Ernst verbot seinen Regierungsbeamten, an dem Hochzeitsfest teilzunehmen. Doch verhindern konnte er das neue Glück seiner einstigen Frau nicht mehr.
Für St. Wendel war der Aufenthalt der Herzogin mit ihrem kleinen Hofstaat eine Besonderheit. Nicht unbedeutend waren die neuen Bürger für die städtische Wirtschaft. Darüber hinaus erfreuten sich Luise und Maximilian großer Sympathie, dies vor allem dank ihren sozialen Engagements. So gab es Zuwendungen für die Armen, insbesondere für die Kinder, die zusätzlich in der Weihnachtszeit beschert wurden. In St. Wendel konnte Luise ihre soziale Ader ausleben. Und das Volk dankte es ihr. Über ihren Geburtstag 1826 schrieb sie: „An meinem lezten Geburtstag erhielt ich einen neuen Beweiß von der Anhänglichkeit der hiesigen Bürger(n) an mir, indem sie trotz dem, daß man es ihnen verboten hatte, mir ein Ständchen brachten. Ich fühle mich hier recht glücklich.“
Einen nicht unbedeutenden Anteil an der Popularität der Herzogin hatte die Tatsache, dass das Ansehen Ernsts und seiner Regierung innerhalb der Bevölkerung gering war, Unmut und Zorn weit verbreitet waren. Und doch: Die Anwesenheit Luises wirkte beruhigend auf die aufsässigen St. Wendeler.
Neben Spaziergängen mochte die Herzogin auch die Jagd. Zudem reiste sie oft und viel mit ihrem neuen Ehemann. Eine selbstbewusste, unabhängige junge Frau. Als zu Beginn des Jahres 1831 das Gerücht die Runde machte, Luise und Maximilian wollten die Stadt für immer verlassen, waren die Einwohner der Stadt in Aufruhr. 100 Unterschriften zählte ein Schreiben an den Landesherrn, in dem sich St. Wendeler Bürger beklagten, eine Abreise des Paares hätte vor allem Konsequenzen für die Bedürftigen der Stadt – aufgrund der wegfallenden Wohltaten seitens der Herzogin. Auch die Stadtväter wandten sich an Ernst und wurden deutlich: Sie befürchteten, die St. Wendeler selbst würden wieder „die fast unerträgliche Last der Armenunterstützung" tragen müssen, sollte das Ehepaar der Stadt den Rücken kehren. Ein bedeutender Wirtschaftsfaktor drohte wegzubrechen.
Luise spielte tatsächlich mit dem Gedanken, St. Wendel zu verlassen. Doch vorerst reiste sie mit Maximilian im Frühjahr 1831 nach Paris. Während eines Opernbesuchs erlitt sie einen Blutsturz. Seit mehreren Jahren litt Luise bereits immer wieder an Entzündungen des Unterleibes, wollte sich diesbezüglich in Paris untersuchen lassen, denn ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide. In der französischen Hauptstadt diagnostizierten mehrere Ärzte Gebärmutterkrebs. Die letzten Monate ihres Lebens verbrachte sie also in Paris, diktierte, als sie spürte, dass es mit ihr zu Ende ging, ihr Testament und regelte die Versorgung ihrer Bediensteten. Auch am Totenbett dachte sie noch an ihre Untergebenen. Am 31. August 1831 starb Luise.
Ernst wusste um den Tod seiner Ex-Frau und schrieb im September 1831 an seine Schwester: „Der armen Louise trauriges Ende, so sehr ich auch darauf vorbereitet war, hat mich sehr gedauert, und ich darf es wohl sagen, schmerzlich ergriffen. Alle Bilder der Vergangenheit sind an meiner Seele wieder vorübergegangen. So mancher glücklichen époque habe ich dabei gedacht. Die herben Stunden hat ihr Schatten versöhnt, und ein sehr wehmütiges Gefühl ist mir zurück geblieben. Zu welch glänzenden und glücklichen Aussichten schien die unglückliche Louise bestim[m]t zu sein, und wie hat Sie geendet! (...) Ich habe Ihr von Herzen verziehen, in allem wo Sie gegen mich gefehlt. Die Aermste hatte sich ja stets den größten Schaden gethan.“
Die letzte Ruhestätte
Der Sarg mit dem einbalsamierten Leichnam wurde von Paris nach St. Wendel transportiert, im Gartenhaus in Niederweiler vor den Toren der Stadt, wo Luise während der Sommermonate residiert hatte, aufgestellt. St. Wendeler Bürger hielten Wache. Verbundenheit über den Tod hinaus. Zwischen Ernst und Maximilian entbrannte derweil ein Streit um den Bestattungsort – Maximilian war für Sulzbach, Ernst für Coburg – und um das Testament.
Um zu verhindern, dass der Sarg von der Regierung beschlagnahmt wird, wurde er heimlich in die Wohnung des St. Wendeler Advokaten Samuel Stephan gebracht. Nach einem Jahr einigten sich Ernst und Maximilian: Luise wurde in Pfeffelbach bei Kusel beigesetzt, das damals zum Fürstentum Lichtenberg gehörte. Jedoch war dies noch nicht die letzte Ruhestätte: Die Söhne Ernst II. und Albert ließen den Sarg 1846 in die Coburger Fürstengruft überführen, 1860 wurde der Leichnam im neu erbauten Mausoleum auf dem Friedhof am Glockenberg in Coburg bestatten. Luise ruhte von nun an neben ihrem ersten Mann, Ernst I., und nicht, wie in ihrem Testament gefordert, neben dem zweiten.
Sohn Albert heiratete, wie eingangs erwähnt, Queen Victoria. Vor der Hochzeit kursierte in England ein Flugblatt, das vor den Coburgern warnte. Auch Luise fand Erwähnung: Ihr wurde eine Reihe Liebhaber unterstellt, sogar mehr, als damals am Coburger Hof. Dennoch kam es zur Vermählung, sodass das englische Königshaus von 1840 an den Namen Sachsen-Coburg und Gotha (engl. Saxe-Coburg and Gotha) führte. Bis 1917. Denn dann wurde der Name in Windsor geändert, nach dem Residenzschloss der Königsfamilie. Dies geschah auf Initiative des Königs, und zwar aufgrund der verbreiteten antideutschen Stimmung. schließlich kämpfte das Empire seit drei blutigen Jahren gegen das Deutsche Reich, gemeinsam mit dem Zarenreich, bis dieses unterging.
Kaiser Wilhelm II. soll einst gesagt haben, hätte seine Großmutter, Queen Victoria, noch gelebt, so hätte sie es nie zugelassen, dass sich seine Vettern, der englische König und der russische Zar, gegen ihn verbündeten. Und, so möchte man hinzufügen, hätte es Luise nicht gegeben, gäbe es auch die Windsors, gäbe es seinen Vetter George V. nicht. Denn Luise kann mit Fug und Recht als die Stammmutter der Windsors bezeichnet werden – Luise, die sechs Jahre in St. Wendel lebte und sich in dieser kurzen Zeit in die Annalen dieser kleinen Stadt eingeschrieben hat.
Erstmalig erschienen in: Saargeschichte/n 3/2014
Lukas Kowol
Kontakt: L.Kowol(at)lkwnd.de