Februar 2020

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

„Ich glaube; hilf meinem Unglauben“ – dieses Wort aus dem Markusevangelium ist die Jahreslosung der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen für das neue Jahr 2020. Mir fiel in diesem Jahr die Ehre zu, zur Jahreslosung die Kanzelrede in der evangelischen Stadtkirche St. Wendel zu halten. Dabei habe ich versucht, die Worte an vier Themenblöcken in unsere Zeit zu übersetzen, aufzuzeigen, warum unser Zusammenleben nur gelingen kann, wenn die Menschen die Besessenheit des Unglaubens und damit die Zweifel überwinden und aus echtem Glauben heraus leben.

Seit Menschengedenken gibt es kriegerische Auseinandersetzungen. Hass statt Liebe, Neid statt Wohlwollen. Auch wir zweifeln, auch uns fehlt dazu der Glaube. Meine Rechte und Freiheiten enden aber dort, wo die Rechte und Freiheiten anderer Menschen beginnen. Die Wahrung der Menschenwürde, die Akzeptanz, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat, gleichberechtigt ist, dass es keine Menschen erster und zweiter Klasse gibt, dass alle Chancengerechtigkeit erfahren müssen, um aus ihren individuellen Möglichkeiten ihr Leben zu gestalten, dass ein friedliches Zusammenleben und die friedliche Lösung von Konflikten und unterschiedlichen Meinungen ohne Alternative sind. Wir glauben, ja. Aber: Hilf meinem Unglauben.

Unsere Zeit ist geprägt von Globalisierung, Digitalisierung, Demographie und Individualisierung. Die ganze Welt steht jedem jederzeit zur Verfügung. Das Zusammenleben ist atemlos geworden. Keiner hat mehr Zeit. Glücklicherweise findet gerade bei uns im St. Wendeler Land noch viel soziales Miteinander statt, im Ehrenamt, in Vereinen, in Kirche, Staat und Gesellschaft. In der Familie, Nachbarschaft, auf der Straße. Gott sei Dank. Dennoch: Auch unsere Welt hat sich verändert. Je globaler und unübersichtlicher die Welt wird, desto mehr ziehen sich Menschen auf sich selbst zurück und wenden sich gegen andere. Nationalistisches und rassistisches Denken nimmt wieder zu, obwohl wir gehofft hatten, die Lehren aus dem dunklen Kapitel unserer Geschichte gezogen zu haben. Der Ton des Umgangs miteinander ist rauer geworden. Die Asozialität des Sozialen. Soziale Medien werden zu asozialen Stammtischen. Warum? Es fehlt der Glaube. Damit fehlt das Vertrauen in die Welt, in die Politik, in die Kirche, in die Gesellschaft.

Die Bewahrung unserer Schöpfung ist mit der aktuellen Klimaschutzdiskussion wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt. Die einen zweifeln an der Notwendigkeit, mehr für den Schutz des Klimas und der Schöpfung tun zu müssen, Handlungsweisen zu überdenken, Verzicht zu üben, um die Lebensgrundlagen zu erhalten. Wer an der Klimakrise zweifelt und nicht glaubt, der wird sein Verhalten nicht ändern, er wird auch nicht akzeptieren, dass andere dies tun. Wir sollten darauf vertrauen, dass auch unser Beitrag ein ins Wasser geworfener Stein ist, der konzentrische Kreise zieht.

Obwohl wir der einwohnerkleinste und ehemals strukturschwächste Landkreis im Saarland sind, haben wir seit langer Zeit eine erfolgreiche Entwicklung, für die vier Faktoren verantwortlich sind: Eine nach wie vor funktionierende soziale Gemeinschaft, eine gesunde mittelständische Wirtschaftsstruktur, politische Stabilität auch in unruhigen Zeiten und nicht zuletzt der Mut, Zukunftsfelder zu erschließen. Tourismus, Klimaschutz, Regionalentwicklung, Jobcenter, vieles mehr. Das geht nur, wenn wir daran glauben. Dies geht nicht, wenn wir zweifeln und verzagen. Wir glauben an unsere Stärken und Chancen, nicht selbstverliebt, nicht überheblich. Wir lassen uns auch belächeln, aber nicht beirren. Wir vertrauen auf uns und nehmen die Menschen mit, binden sie ein, vermitteln Identität und Wir-Gefühl. Wir glauben an das Engagement der Menschen, an ihren guten Willen, ihre Bereitschaft, sich einzubringen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir glauben an uns. Wir vertrauen der Gemeinschaft. Die funktionierende soziale Gemeinschaft und die Bereitschaft, sich für das Gemeinwohl auch ehrenamtlich zu engagieren, ist die Grundlage unseres Erfolgs. Ein Erfolg nicht einzelner, sondern vieler. Miteinander statt gegeneinander. Mit dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und dem Vertrauen in die Fähigkeiten der anderen, diese Welt zu einem friedlichen, sozialen, verantwortungsvollen und fortschrittlichen Ort des Zusammenlebens zu machen. Mit Mut und Demut.

Lassen wir uns davon anstecken. Lassen wir uns helfen. Glauben und vertrauen wir in uns und unsere starke Gemeinschaft im St. Wendeler Land. Das Wort des Evangelisten ist Mahnung und Anspruch zugleich. Es ist die Chance, in uns zu gehen, uns zu hinterfragen, um unser Zusammenleben friedlicher, sozialer, verantwortungsvoller und fortschrittlicher zu gestalten. Überwinden wir unseren Unglauben. Vertreiben wir unseren unreinen Geist. Damit die Gesellschaft wenigstens ein klein wenig besser wird.


Ihr Landrat
Udo Recktenwald